Reise zu den Monti Sacri im Piemont. Teil 1: Anfahrt über Sion

Jetzt, nachdem ich endlich die Arbeiten an meinem Buch über Basler Architekten des Fin de Siècle abgeschlossen hatte, fand ich den Augenblick gekommen, in eine ganz andere Welt einzutauchen, in die Welt der „Monti Sacri“. Seitdem ich vor einigen Jahren auf der Durchreise am Ortasee in diesen sakralen Landschaftsgarten dort am Abhang geraten war, wo in zwanzig Kapellen zwischen alten Bäumen das Leben des heiligen Franz von Assisi dargestellt war, wollte ich mehr darüber wissen. Und so erfuhr ich, dass es sich bei diesem Phänomen sogar um ein von der UNESCO anerkanntes Weltkulturerbe handelt und dass es im Piemont davon sieben solcher heiliger Berge gibt.
Meine Freundin Cristina trug mit ihrer Einladung nach Locarno dazu bei, dass ich mich auf jene Orte konzentrierte, die mehr im Westen lagen. Ich wollte ja auch kein Monti Sacri-Hopping veranstalten, indem ich mir zwanghaft alle sieben Standorte ansehen würde.

Die Anfahrt in einer kleinen Mietskutsche (ein Peugeot) beschloss ich über das Wallis zu nehmen, um dort endlich einmal die Basel durch Rudolf Riggenbach eng verbundene Kirche Valeria in Sion besuchen zu können. Ganz nahe fand sich unterhalb der Weinberge ein vorbildliches B&B, und erfreulicherweise hörte der ausgiebige Regen nach dem Anreisetag definitiv auf.

Das stark modernisierte Sion überraschte durch seine malerische Altstadt und bezauberte mich mit dem Zwillingsfelsen Valeria und Tourbillon, geistliche und weltliche Macht, beide schwer einnehmbar auf Felsen einander gegenüber plaziert, sich immer im Blick behaltend, wie in einem Buch von Michael Ende.

Nur über einen felsigen Pfad erreicht man die altehrwürdige Kirche, die unter Garantie an einem uralten vorchristlichen Kultort errichtet worden ist. (Vor vier Jahren wurde in der Altstadt von Sion ein grosses keltisches Gräberfeld entdeckt – über dessen heutigen Zustand kann ich zur Zeit nichts berichten.)

Die frühgotische Kirche zeichnet sich durch einen grossen Reichtum an Wandmalereien aus, die es einem erlauben, sich den originalen Zustand einer mittelalterlichen Kirche besser vorzustellen.

Benoit

Besonders reizvoll sind der mit einem Pfeiler verbundene bunt bemalte und 1400 datierte Seitenaltar und die Wandpartie daneben, geschmückt mit einer Märtyrerszene und der Grablege einer Frau, die auf prächtig gestreiftem Grabtuch im Hermelin bestattet wurde.

Ganz mittelalterlich mutete mich auch der Falkner an, den ich auf dem Abstieg traf: Benoît mit seinem Steinadler.

Bevor ich mich dem Simplonpass zuwandte, musste ich eben noch einen Abstecher in Raron zum Grab von Rainer Maria Rilke einschalten. Auf der Passhöhe des Simplon landete ich plötzlich in einer frühlingshaften Schneeschmelze.

Und schon war ich in Italien – es ging eine ganze Weile abwärts mit mir nach meinem nächsten Ziel, Domodossola, wo ich erstaunlich schnell mein B&B, die Villa delle Camelie, fand – ein kleines Paradies, direkt am Fusse meines ersten Monte Sacro gelegen.