Reise zu den Monti Sacri im Piemont. Teil 6 Oropa

Der nächste Monte Sacro lag in Oropa, weit in den Hügeln oberhalb Biella. Er ist verbunden mit einem Wallfahrtsheiligtum. Die savoyischen Fürsten in Turin waren dessen  potente Sponsoren. Und so sieht es denn dort auch aus: eine fast unermesslich grosse Anlage, die sich den Abhang hinunter ausbreitet, mit riesigen Kolonnadengängen die Scharen der Pilger empfangend. Zuoberst thront eine bombastische Kuppelkirche. Der Monte Sacro führt daneben ein fast unauffälliges Dasein an einem kleineren Hügelhang.

Zuerst galt es  jedoch diese Grossanlage zu durchschreiten. Nach dem ersten Hof gelangte man in den zweiten, wo sich das älteste Heiligtum mit dem Gnadenbild der hilfreichen schwarzen Madonna befindet. Dort war ich fast allein. Dieser Gnadenort strömte etwas Magisches aus. Ich empfand eine starke weibliche Präsenz, die mir sehr wohl tat. Weiter ging es durch einen Bogen über eine monumentale Treppe bis zur Kuppelkirche, der ich wenig Aufmerksamkeit schenken mochte – zu gross und machtbetont war sie mir.

Durch ein Wäldchen spazierend fand ich oberhalb des Heiligen Berges einen lauschigen Picknickplatz. Plötzlich fiel mir auf, dass mein kleiner Rucksack, den ich als Tasche für alle wichtigen Dinge – Geld, Karten, Handy – dabei hatte, fehlte. Ich brach mein gemütliches Picknick alarmiert ab und hetzte alle vorherigen Stationen zurück, um zu sehen, ob er dort zu finden wäre. NICHTS! Meine letzte Hoffnung war das Auto. Ich schaute auf den Nebensitz, auf den Boden, aber auch das war nichts zu sehen. Und jetzt? Ich sandte Stossgebete zur Madonna von Oropa und überlegte, dass ich zumindest genug Benzin hätte, um wieder zu meinem Logis zu gelangen. Aber dann? Ich machte mich auf, nach links in die Strasse abzubiegen. Und da fiel mein Blick – auf meinen kleinen schwarzen Rucksack, den ich ganz in einer Ecke deponiert hatte, nachdem ich in Biella einem Bettler etwas gegeben hatte! Meine Erleichterung und mein Glücksgefühl waren unbeschreiblich. Ich stellte den Wagen wieder auf den Parkplatz und begab mich schnellen Schrittes zu einem der zahlreichen Andenkenlädchen, wo ich bei einem äusserst freundlichen Mann gleich zwei kleine Statuen des wundertätigen Gnadenbildes kaufte.

Der Monte Sacro mit seinen dreizehn Kapellen erhielt jetzt auch noch einen Kurzbesuch abgestattet. Allerdings waren die Szenen im Innern kaum erkennbar, die Kapellen selbst jedoch sehr anmutig auf der baumbestandenen Wiese am Abhang verteilt. Von den Ausmassen Varallos verwöhnt beschloss ich, hier bald aufzubrechen und begab mich nach Biella, einer kleinen Stadt, die lange Zeit das Zentrum einer grossen Textilproduktion gewesen war. Jetzt allerdings sind diese Betriebe – Kardereien, Spinnereien, Textilverarbeitung – wie ich auf der Anfahrt schon sehen konnte, zumeist seit längerem aufgegeben. In einem wundervollen Café, elegant wie im 19. Jahrhundert, wurde mir mit grosser Freundlichkeit ein köstlicher Eiscafé serviert. Danach machte ich mich – nun schon erfahrener mit der italienischen Signalisation – wieder auf den Rückweg.

Den Tag krönte ich mit einem unglaublich köstlichen Abendessen in dem Lokal „Vecchio circolo“ in der Nähe von Orta, in Ameno Lortallo, das mir Freunde genannt hatten. Und vor dem Schlafengehen lud mich meine Gastgeberin Mariagrazia (welch passender Name!), die mit Anteilnahme meinem Bericht vom „Wunder von Oropa“ lauschte, wieder zu einem besinnlichen Kräutertee auf der Veranda ein.