Über Süddeutschland und Bayern nach Dresden
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Langsam scheint der Sommer doch anzubrechen. Die Fahrt von Basel über Nebenstrassen inmitten reifender Felder und grüner Wiesen in der Richtung meines ersten Etappenziels Weingarten lässt sich geruhsam an. Mein Stadtplan stammt allerdings von einem anderen Weingarten, sodass ich den Gasthof Waldhorn, wo ich mich angemeldet habe, nur nach längerem Suchen im Gewitterregen finde. Schliesslich, dank der Hilfe netter Jungs, die hier ein Familientreffen haben, gibt es ein happy End mit köstlichem Abendessen. Sonntagvormittags besuche ich in der mächtigen barocken Klosterkirche eine Messe. Durch Um-, An- und Neubauten ist der grosse Komplex des ehemaligen Klosters gar nicht richtig fassbar, obwohl er sich sehr stattlich auf einer Anhöhe ausbreitet. Die Zugänge sind jedoch liebevoll mit reich begrünten Stufenwegen ausgestattet.
Auf der Weiterfahrt nach Augsburg lockt die Stadt Memmingen zu einem Besuch. Direkt beim Tor finde ich einen Parkplatz – und werde durch nostalgische Klänge empfangen: „Sounds of Silence“ erklingen aus einem kleinen Biergarten und lassen mich in Empfindungen und Erlebnisse früherer Tage eintauchen. Die Stadt selbst mit ihrem prächtigen Marktplatz und den alten Gassen gleicht einem Bilderbuch. Eine Stadt des Salzhandels und der mittelalterlichen Bildhauerkunst – Ivo Strigel (1430-1516) und sein Clan haben hier Altäre geschaffen, die sie weitherum exportierten, und ein einfallsreiches Chorgestühl schmückt die Pfarrkirche St. Martin.
Auf der B 300 geht es Richtung Augsburg, mit einem Halt im Wallfahrtsort Maria Vesperbild. Von der lieblichen Barockkapelle führt ein Weg zu einem Waldheiligtum mit Lourdesgrotte, überreich mit Blumen, Kerzen und Votivtafeln geschmückt, das von vielen Andächtigen besucht wird.
Nach langer Suche finde ich gegen Abend endlich meine airbnb Unterkunft am Rande von Augsburg und werde dort von meinen Gastgebern freundlich empfangen. Am Stadtrand ist es möglich, mir gegen ein kleines Entgelt ein Fahrrad zu leihen – ein tolles System in den deutschen Städten! So komme ich wunderbar herum und finde auch den hochgelobten Biergarten „zu den drei Königinnen“ hinter der Fuggerei. Ich habe ein sympathisches Gespräch mit einem jungen Bewohner, einem Bildhauer, der wie alle dort gegen 1€ im Jahr und drei Fürbittgebete am Tag für die Fugger wohnen darf.
Bei einem ausgiebigen Stadtbummel am Montag lerne ich diese stolze Kaufmannsstadt mit dem prächtigen Renaissance-Rathaus ihres Baumeisters Elias Holl (1573-1646) etwas besser kennen. Es wird viel gebaut – das scheint zur Zeit in vielen Städten Mitteleuropas geradezu epidemisch zu sein. Aber die nach den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs weitgehend wieder instand gestellten Denkmäler überwältigen gleichwohl, vor allem auch im Kontext der damals unvorstellbar reichen und modernen Fuggerfamilie. Nicht nur arbeiteten diese als erste mit dem System der doppelten Buchführung und entwickelten ein überaus potentes Fernhandelsnetz, Jakob Fugger „der Reiche“ (1459-1525) liess 1521 für bedürftige Augsburger mit der Fuggerei die erste Sozialsiedlung der Welt bauen. Ausserdem brachte er mit dem Bau seiner Stadthäuser und der Stiftung der Fuggerkapelle in St. Anna auch die Renaissance nach Augsburg.
Die Kirchen St. Afra und Ulrich als repräsentativer Abschluss der Maximilianstrasse drücken ebenfalls den Reichtum und die Macht dieser Stadt aus, die ich unter italienischem Himmel erleben darf.
Gegen Abend mache ich mich auf den Weg nach Regensburg. Problemlos führt mich die gute B 300 fast vor die Haustüre von Renates Appartement, auch das ein Fund bei airbnb. Alles ist liebevoll und grosszügig eingerichtet, sogar ein grosser Früchteteller steht für mich bereit. Ausserdem kann ich Renates Fahrrad benutzen, wofür ich besonders dankbar bin und mich damit gleich auf den Weg zu einem Biergarten in der Nähe mache. Die Tische sind voller vergnügt erzählenden StudentInnen aus aller Herren/Frauen Länder. Leider ist mein Kaiserschmarren eine dunkelbraune Enttäuschung – den sollte ich mir doch besser für das Südtirol aufsparen.
Ich breche am nächsten Morgen gut ausgeschlafen zu meinem Rendezvous mit meiner Kollegin Barbara Polaczek auf, mit der ich vor dem Dom zu einer ausgiebigen Besichtigungstour durch Regensburg verabredet bin. Welch herrliche Altstadt mit diesen engen winkligen Gassen, gesäumt von den Sitzen reicher Handelsfamilien und zahlreichen mittelalterlichen Geschlechtertürmen! Und welche Unzahl von uralten kirchlichen Baudenkmälern, die oft im Barock noch überformt wurden. Besonders eindrücklich ist natürlich die steinerne Brücke, die um die Mitte des 12. Jahrhunderts in nur elf Jahren erbaut wurde. Nicht weit vom Brückenkopf finden sich die Überreste der Porta Praetoria des bedeutenden Aussenpostens der Römer, das Legionslager Castra Regina.
Lange Jahrhunderte war Regensburg der Sitz der bayerischen Herzöge, für 150 Jahre (bis 1806) beherbergte es den immerwährenden Reichstag. Besonders bezaubernd sind die vielen Parks und lieblichen Grünzonen, die um die Altstadt herum angelegt wurden. Und die hübschen Geschäfte im Zentrum, in uralten Gemäuern…
Im Dom erlebe ich das Wiedersehen mit der Verkündigung des Erminold-Meisters. Überhaupt ist der Dom ein Schatzhaus edler gotischer Skulptur und Glasmalerei. Der Kirchenpatron St. Peter erscheint mit reich wallendem Gewand als Trumeaufigur unter dem merkwürdigen dreibeinigen Eingangsgehäuse. Im Domschatz finden sich übrigens zur Fassadengestaltung zwei fantastische Architekturrisse von einigen Meter Höhe.
Das Grab des Abtes Erminold in Prüfening, das dem Bildhauer seinen Namen gab, bleibt mir trotz verschiedener Anschleichmethoden hartnäckig verschlossen. Die Klosterkirche wird in grossem Stil renoviert, und den Schlüssel haben Thurn & Taxis. Dafür ist die St. Jakob geweihte Schottenkirche (erbaut 1156-1185) problemlos zugänglich, und ich kann mich ihrem rätselhaften Portal und sowie dem Inneren der Pfeilerbasilika ausgiebig widmen. Vier Jahrhunderte war das dazugehörige Kloster von irischen Mönchen bewohnt. Das Relief eines kleinen Mönches (es wird behauptet, er heisse Rydan) mit grossem Schlüssel bewacht innen den Eingang. War er der Baumeister?
Ich packe meine Siebensachen zusammen und weiter geht es gen Norden. Unterwegs steuere ich Amberg an, das ein recht nettes Stadtbild hat, besonders entlang der Naab, aber es macht keinen speziell gastfreundlichen Eindruck ausser um das originelle Luftmuseum herum, dessen Hüter mir freundlich Auskunft gibt, obwohl es schon geschlossen ist. So setze ich meinen Weg fort in Richtung der Gegend, wo es so klingende Porzellannamen wie Tirschenreuth und Arzberg gibt. Die ganzen Produktionen scheinen jedoch eingestellt zu sein und die Fertigungsanlagen nur noch zum Verwahren und Verschleudern der Bestände genutzt zu werden. Der Ort Tirschenreuth ist gleichwohl schön hergerichtet, er ist ein alter Wallfahrtsort, und die Handwerkerzünfte haben reichgeschmückte Kerzenhalter für die Prozessionen gestiftet. Aus dieser Gegend stammt im Übrigen auch die heilige Therese von Konnersreuth.
Im Vertrauen, schon noch irgendwo unterzukommen, fahre ich weiter durch die abwechslungsreiche und freundlich grüne Landschaft. Plötzlich taucht mitten in den Hügeln tatsächlich ein Landgasthof auf: das Hotel Igel! Und ein Zimmer ist auch noch zu haben. Zu meinem grossen Behagen gibt es köstliche frisch gekochte Spargeln zum Abendessen. Ich lerne eine Gruppe geistig Behinderter mit einer netten Betreuerin kennen, die dort regelmässig Ferien machen.
Am nächsten Morgen steuere ich Annaberg-Buchholz im Erzgebirge an. Die Verbindung ist recht umständlich, so dass ich den reizenden Ort Falkenstein nur passiere. Hier habe ich etwas verpasst! Er ist so unbekannt, dass er nicht einmal in Wikipedia erscheint. Überhaupt ist diese Ecke Deutschlands so richtig hinter den sieben Bergen versteckt. Schliesslich erreiche ich Annaberg, das wirklich ein ganz spezieller Ort ist. Das Silber hat ihn reich und seine Bewohner sehr selbstbewusst gemacht. Allerdings sind auch hier die alten Anlagen schon lange ausser Betrieb. Aber die aussergewöhnliche Kirche aus dem Übergang von der Spätgotik zur Renaissance spricht Bände. Sie wirkt äusserst wehrhaft aus Feldsteinen gemauert und hat ein Portal wie von einem modernen Architekten entworfen – eine restaurative Lösung des frühen 20. Jahrhunderts. Um die grosszügig und hoch sich öffnende Halle zu schmücken, haben die Annaberger keinen Aufwand gescheut. Zahlreiche Schnitzretabel, eine reichverzierte Kanzel, ein aussergewöhnlicher Taufstein, auf dem sich Kinderengel in Bergmannskleidung tummeln, eine üppige Emporenbrüstung mit zahllosen Figuren, ein überschwängliches Masswerknetzgewölbe und immer wieder die heilige Anna, die Schutzpatronin der Bergleute, meist Selbdritt, und natürlich Bergleute allüberall bereichern die Ausstattung. Zum Abheben!
Dann kommt die letzte Etappe, die mich über die Autobahn an Chemnitz vorbei direkt zum Institut meines Mannes Bert an der Chemnitzerstrasse in Dresden führt. Dort findet ein dreitägiges Kolloquium anlässlich seines 70. Geburtstages statt. Gewitterwolken dräuen und lassen uns den Weg nachhause einschlagen, wo wir gemütlich kochend uns eine Menge zu berichten haben. Ausserdem planen wir den Verlauf der Vorbereitungen für Berts Fest am nächsten Abend im Ostragehege, wo noch einiges auf die Reihe gebracht werden muss, um gegen 60 Gäste zu bewirten.
Alles verläuft wunderbar: erst besuche ich am nächsten Vormittag eine Freundin, dann fotografiere ich einige der zauberhaften, wieder hergerichteten Villen aus der Zeit um 1900 und schwelge in der Schönheit der vielen lieblichen Ansichten Dresdens. Nachmittags erledige ich mit der tatkräftigen Hilfe eines Trupps liebenswerter und engagierter Studierender Einkäufe und Vorbereitungen für das abendliche Fest auf dem Ostragelände.
Der Abend wird, begünstigt durch das sommerliche Wetter und die ungewöhnliche Umgebung am Rande der Stadt, wo die lokale Kunstausstellung der Ostrale vorbereitet wird, überaus heiter und vergnüglich. Der berührende Film von Barbara Lubich über Formen des Gedenkens in Dresden sowie nicht zuletzt das köstliche Buffet tragen ebenfalls dazu bei.
Am dritten Tag des Kolloquiums erhält Bert als Auszeichnung für sein unermüdliches Wirken die Ehrenmitgliedschaft in der Sektion Kultursoziologie in Form einer wunderschönen kleinen Nachbildung der Nike von Samothrake, eine mehr als verdiente Anerkennung. Aber er wird sich gewiss nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen.
Nur wenige Stunden verbleiben uns gemeinsam, dann mache ich mich am Sonntag auf die Rückkehr nach Basel, diesmal auf direktem Weg über die Autobahn. Ein weiterer Tag voll Sonnenschein ist mir gegönnt, der mich abends meinen Heimathafen sicher erreichen lässt.