Reise zu den Monti Sacri im Piemont. Teil 5: Varallo
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Am nächsten Tag hatte ich mir den Besuch von Varallo vorgenommen. Auf der Karte führte eine Abkürzung über weisse Strassen zu dieser etwa 35 km westlich liegenden Stadt mit dem grössten und ältesten der Sacri Monti. Mit ihrer inneren Logik schienen mir diese Strassen die ältesten Verbindungswege zu sein, der gleichwohl die Wegweiser nicht gerecht wurden und mich des Öfteren zum Anhalten und Nachschlagen zwangen. Bei einem dieser Stops begegnete ich einer entnervten Deutschen in flammendroter Bluse mit dem gleichen Problem, die mich sogleich mit einem desorientierten Wortschwall überflutete, wobei sie für die „Ithaker“ und deren Strassen mit unzureichender Beschilderung keine Nachsicht kannte.
Um elf Uhr erreichte ich Varallo, eine Kleinstadt, gelegen am Zusammenfluss des Mastallone in die Sesia, die Besucher mit einer offenen Touristeninformation und gebührenfreien Parkplätzen gleich beim Zentrum freundlich empfängt. In einer der schattigen Gassen fand ich einen sinnigen Anschlag, der mich köstlich amüsierte („Was ihr in der Hand haltet, ist kein Hydrant und am Boden ist keine Feuersbrunst!!!“).
Es reichte mir gerade noch zur Entdeckung des Werks eines mir bisher unbekannten einheimischen Malers, Gaudenzio Ferrari (1475/80-1546), der 1513 in der ehemaligen Klosterkirche der Franziskaner, Santa Maria delle Grazie, eine das ganze Schiff bis oben abschliessende Lettnerwand mit einem Zyklus des Christuslebens bemalt hatte: ein grosser Wurf herrlichster Malerei.
Um zwölf Uhr schlossen sich wie üblich die Pforten sämtlicher Kirchen, und ich stärkte mich mit einer köstlichen Pizza „am Meter“ mit viel Spinat, die ich im Schatten auf den Treppenstufen der Collegiata San Gaudenzio vertilgte – auch diese barg ein Werk Gaudenzios, ein mehrteiliges farbig leuchtendes Retabel auf dem Hochalter der Barockkirche.
Danach schlug die Stunde des Monte Sacro. Trotz der malerischen Funiculare zog ich es vor, die Serpentinen mit meinem Auto hoch zu fahren, um den Ausgangspunkt für meinen Spaziergang zu den Kapellen zu erreichen. Hohe Bäume, darunter viele Buchen, spendeten friedlichen Schatten.
Der Pilgerweg mit den 45 Kapellen begann tatsächlich bei Adam und Eva! Der wallonische Künstler Jean de Wespin hatte um 1600 diesen paradiesischen Zoo mit den beiden Ureltern geschaffen.
Wie im Anderswo fühlte ich mich, umgeben von der vogeldurchzwitscherten Stille unter den hohen Bäumen und wandelte wie verzaubert von einer Kapelle zur anderen. Unbeschreiblich auch der Duft, der diesen Pflanzen und Blüten entströmte.
Und so ergreifend menschlich sind diese Szenen aufgefasst, anmuts- und liebevoll wiedergegeben: die Verkündigung an Maria, die Begegnung der beiden schwangeren Frauen Maria und Elisabeth. Sie sind deutlich weniger dramatisch als die Darstellungen in Orta, man merkt ihnen an, dass sie noch dem Geist der Renaissance näher stehen.
In Varallo dürfte zum ersten Mal der Gedanke des Monte Sacro aufgekommen und umgesetzt worden sein, und das noch vor 1500. Ein Franziskanermönch, Bernardo Caimi, nützte seine Beziehungen zum Mailänder Herzog Ludovico il Moro aus dem Herrschergeschlecht der Sforza, um seine Idee eines heiligen Berges mit vielen Kapellen, in denen wesentliche Inhalte der Bibel dargestellt werden sollten, realisieren zu können. Sehr bestimmend dabei war schon früh die Teilnahme des Künstlers Gaudenzio Ferrari, der dann einige Jahre in Varallo zubrachte, wo er mit seiner Werkstatt weitere Werke, vor allem Wandmalereien in Kirchen, schuf. Die Darstellung der Beschneidung des Jesuskindes im Tempel ist eines seiner frühenBeschneidungdes Jesuskindes im Tempel Werke. Es fällt auf, dass fast alle Terracottafiguren richtiges Haar aufweisen, was ihre Lebensechtheit noch verstärkt.
Auf diesem heiligen Berg liessen sich Tage zubringen, ohne dass man die Fülle der architektonischen Kostbarkeiten und den Reichtum der szenischen Darstellungen auch nur annähernd überblicken könnte. Auch der Frieden und die Schönheit, welche der in die Landschaft eingebetteten Anlage innewohnen, stärken und beglücken jeden Besucher in hohem Masse. Gestärkt und beglückt begab ich mich gegen Abend auf den Heimweg.
Es erwartete mich noch ein Dessert, ein weiteres Werk aus der Ferrari-Bottega: Santa Maria di Loreto an der Ausfallstrasse Richtung Ortasee gelegen, an welcher ich bei der Ankunft erst einmal vorbeigefahren war. In bester Gesellschaft mit meinen himmlischen Weggenossen kam ich Abends wieder in meiner Unterkunft am Ortasee an.